An einem ganz normalen Tag im Recruitment… (Part II)

Besten Dank für eure zahlreichen Reaktionen zum Part I dieser Anekdote – teils direkt im LinkedIn, per E-Mail oder auch telefonisch.

Wie erwartet, haben einige von euch schon ähnliche Storys erlebt und konnten sich in verschiedenen Dingen wiederfinden – eigentlich schon schlimm, da man es ja eigentlich im Recruitment Business mit Profis zu tun haben sollte. Sei es auf Vermittler- oder auf Kundenseite.

Gerne möchte ich nun mit dem Part II fortfahren.

Wir erinnern uns, dass sich der Kunde nach langem Hin und Her und nach erster Absage dann schlussendlich doch für meinen Kandidaten entschieden hat. Dieser hat den Vertrag auch unterschrieben und bei seiner vorherigen Anstellung gekündigt. Der Kunde setzte uns daraufhin nochmals unter Druck. Er war nicht bereit, unsere (bereits schriftlich vereinbarte!) Provision zu bezahlen. Er drohte damit, dass dies sonst unser letzter Abschluss wäre oder der «vermittelte» Kandidat allenfalls nicht starten könnte…

Wir steigen also zu dem Zeitpunkt ein, nachdem ich das Gespräch mit unserem Kandidaten beendet hatte, bei dem er mir mitteilte, dass er gekündigt hat und sich sehr auf den neuen Job freut.

So, da stehe ich jetzt und vor mir hat sich plötzlich ein riesiger Berg aufgebaut!

Es lohnt sich sicherlich diese Angelegenheit für einen Moment ruhen zu lassen. Doch lange sollte ich nicht warten, da mich dies sonst noch länger beschäftigt und besser wird es dadurch ja auch nicht.

Ich mache mir also bis zum nächsten Morgen Gedanken, wie ich mich verhalten will und wie ich nun reagieren werde. Ich schaue mir nochmals meine / unsere Aktivitäten an, fasse diese zusammen und schicke dem Kunden eine Übersicht zu. So kann er sehen, was ich / wir alles für ihn getan haben, um diese Position zu seiner Zufriedenheit zu besetzen.

Selbstverständlich hänge ich auch die E-Mails an, bei denen wir uns über die Konditionen schriftlich geeinigt hatten. Aktuell erwähne ich nichts hinsichtlich seines Vorschlags und gehe (noch) nicht darauf ein.

Am nächsten Morgen fühle ich mich gestärkt und gut vorbereitet den Kunden anzurufen. Ich spreche ihn auf meine E-Mail an und möchte spezifisch von ihm wissen, an welcher Stelle er mit meiner / unserer Arbeit nicht zufrieden war und mit welcher Begründung er nun den «Preis drücken will», obwohl wir uns ja schriftlich geeinigt hatten.

Zudem versuche ich ihm klar zu machen, was es bedeuten würde, wenn er sich nun nochmals um die Besetzung dieser Position kümmern müsste (und was das kostet) und wir unter diesen Umständen natürlich nicht bereit sind, nochmals auch nur eine Minute für sein Unternehmen zu investieren.

Ich sage ihm aber auch, was ich generell von seinem Vorgehen halte und dass sich solche Dinge rasch auf dem Markt rumsprechen, wenn er sich auch anderen Lieferanten gegenüber so verhält.

Ich finde heraus, dass es nichts mit Unzufriedenheit zu tun hat, sondern dass er einfach einen maximalen Betrag X bezahlen möchte, da es sonst, seiner Meinung nach, «übertrieben» sei.

Es sieht also ganz danach aus, dass er meine / unsere Arbeit nicht genug würdigt und nicht wirklich abschätzen kann, welchen Aufwand wir hatten. Aber es zeigt mir auch auf, dass es ihm egal ist, dass wir uns eigentlich im Vorfeld schriftlich auf bestimmte Konditionen geeinigt hatten!

Das sind Dinge, die sich kaum ändern lassen. Somit bringt auch weiteres Argumentieren nichts. Zudem gilt nochmals zu erwähnen, dass die Konditionen bereits schriftlich bestätigt wurden, aber das bringt uns auch nicht näher ans Ziel.

Ich teile dem Kunden mit, dass ich ihm morgen meine Entscheidung schriftlich mitteilen werde und lege auf. Einmal mehr kopfschüttelnd… aber was bringt es, sich länger über Dinge aufzuregen, die ich nicht ändern kann? Diese Energie nutze ich lieber anderweitig und kümmere mich um sonstige Tasks…

Am nächsten Morgen verfasse ich eine E-Mail an den Kunden und gebe ein letztes Angebot ab. Damit gehe ich natürlich ein gewisses Risiko ein, da dieses genau in der Mitte zwischen seinen und unseren Vorstellungen / Konditionen liegt. Doch ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass er aufgrund der wenigen tausend Franken Unterschied «diesen Deal sausen lässt» und der Kandidat nicht starten kann.

Das Risiko, dass er anschliessend nicht mehr mit uns arbeiten will, gehe ich gerne ein, da ich auch meinerseits kein Interesse mehr habe, mit ihm zu arbeiten!

Es vergeht eine Woche… dann reagiert der Kunde und schreibt nur, dass ich bitte unsere Rechnung an ihn mit dem neuen Betrag anpassen und ihm diese nochmals zuschicken soll.

So, trotz allem zweifach gewonnen! Der Kandidat kann starten und der Kunde musste schlussendlich seinerseits nachgeben!

Die neue Rechnung geht noch am selben Tag raus. Also Haken dahinter und Reminder setzen, um mit dem Kandidaten in Kontakt zu bleiben. Wir können ihn ja in Zukunft allenfalls anderweitig vermitteln… 

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Kurz zu erwähnen ist noch, dass ich diese Geschichte zum Glück in der Form nicht 1:1 erlebt habe. Aber trotzdem danke für euer Mitgefühl…

Selbstverständlich musste auch ich in meiner langjährigen Karriere im Recruitment einiges Negatives erleben und mir von Recruitment-Kollegen anhören. Daraus ist dann auch diese Anekdote entstanden, um Extreme aufzuzeigen bzw. darzulegen, wie man in diesen Situationen reagieren könnte / sollte.

Es soll uns aber auch aufzeigen, dass wir unser Verhalten im Recruitment stets selbst hinterfragen sollten. Es ist auch wichtig, zu prüfen, ob es Dinge gibt, die man in Zukunft noch besser machen kann.

Weiter aber auch, dass wir uns der Bedeutung unserer Arbeit bewusst sind und wir nicht immer «gleich» nachgeben sollten, nur weil wir befürchten, sonst nichts zu verdienen.

Es geht ja schliesslich darum, Erfahrungen zu machen und daraus zu lernen, um langfristig erfolgreich zu sein!

Michael Wanner